Aus dem Nachwort
Wir sind Rosenkäfer im
Wind der Verdammnis ...“ Schöner und trauriger
läßt sich unser flüchtiges Dasein auf diesem
traurig-schönen Klumpen Erde kaum beschreiben, der mit
uns durch das All rast, aus dem Nichts ins Nichts. Dazwischen
der unendlich scheinende Raum fragiler Begegnungen, den wir
Liebe nennen.
André Schinkel hat das Gedicht "Am Röthaer
See" 2008 zum „Menantes-Preis für erotische
Dichtung“ eingereicht. Ich gestehe gern: Es gehört
zu den berührendsten, die ich je gelesen habe. Daß
ich nicht vermochte, die Jury von seiner Preiswürdigkeit
zu überzeugen und daß es dem Autor selbst nicht
gelang, als einer von fünf Finalisten das Publikum auf
seine Seite zu ziehen, spricht nicht gegen dieses pulsierend
feine und zugleich raffiniert gebaute Wortgebilde. Es bestätigt
vielmehr das Unzeitgemäße solcherart Dichtung,
die nicht im Heute aufgeht, die über uns hinaus weist.
Er ist seltsam anwesend und abwesend zugleich, dieser Dichter
aus dem „Hilbig-Land“ der schmerzvollen Schönheit.
1972 in Eilenburg geboren, wuchs er in der Dübener Heide
auf, im Schatten jener Burg, in der sich Kohlhaasens Feingefühl
für Ehre und Gerechtigkeit in den Furor selbstvernichtender
Rachlust verkehrte. Rinderzüchter hat er gelernt, mit
Abitur, das ihm den Weg zum Studium in Halle bahnte: Kunstgeschichte,
Germanistik und prähistorische Archäologie, abgeschlossen
2001.
Seitdem lebt der Magister artium als Autor, Lektor, Gutachter,
Kritiker und Chefredakteur der Literaturzeitschrift oda –
Ort der Augen in der Hallorenstadt. Ein Zweizentnermann, „Schreiber
in der Gestalt eines Landwirts“, der die zartesten Verse
seit Hilbig dichtet. Sprachgewebe mit unverwechselbar eigenem
Sound, der süchtig macht.
15 Bücher hat André Schinkel veröffentlicht.
Seine Gedichte und Essays sind in 13 Sprachen übersetzt,
und dennoch ist er in Deutschland nur wenigen ein Begriff.
Anders als Hilbigs Abwesenheit in der DDR ist die seinige
keiner Ideologie geschuldet. Die Zensur des Marktes arbeitet
sublimer, doch nicht weniger effektiv.
Nur Großverlage mit entsprechendem Werbeetat können
noch Türme in die Literaturlandschaft rammen. Den kleinen
bleibt die Chance, das Andere zu entdecken: das anwesend Abwesende
wahrzunehmen, ihm in einer Nische Raum zu geben, um seine
Aura zu entfalten.
Der vorliegende Band vereint 44 Texte zum 40. Geburtstag von
André Schinkel. (...) keinen Querschnitt, einen Spiegel
vielmehr, der die Eigenart seines Schreibens aufscheinen läßt:
Parlando – ein sprechendes Singen und singendes Sprechen,
facettenreich, phantasievoll-übersprudelnd und zugleich
in Rhythmus und Form streng kalkuliert.
Altmeister Hirsch hat sich 14 Tage lang in diese Texte vergraben
und das Echo, das sie in ihm auslösten, in Schwarz und
Weiß gestochen, geritzt, geschabt. Traumbilder mit feinsten
Nuancen, deren Wiedergabe den Druckern alles abverlangt. So
ist ein kleines Gesamtkunstwerk entstanden, von dem man am
Ende vielleicht doch sagen kann: es sind Liebesgedichte, traurig
schöne Gesänge auf unser Erdendasein als Rosenkäfer
im Wind der Verdammnis.
Leseprobe
Am Röthaer See
Wo du bist, ist Tagmond
– karg flattert und bleich die
Maske über die Wellen und teilt unsre Herzen
Bis auf den Grund: ein lichterndes Lauschen – die
Blicke der Brombeern, sagst du und siehst dich
Scheu um, sind nicht zu berechnen ... derweil ich
Dich küsse im Lichtschein, im Spiegel deiner
Smaragdbraunen Augen. Was hörst du, frag ich,
Derweil ich dich küsse, und weißt du von mir:
Der Wind trägt das Klappern der Böhlener Störche
Zu uns, streicht dir verzagt über den Halsflaum,
In dem das Gewitter der Sommersprossen für mich
Grollt, die zarte Teilung des Leuchtens, in das
Ich verliebt bin seither. Und das Werk gegenüber
Stellt nichts her als Dampf: Ist das unsre Liebe,
Frag ich, und du antwortest nicht. Wir sind Rosen-
Käfer im Wind der Verdammnis, sag ich; und
Du sagst nichts, aber du küßt mich, und der Duft
Rinnt dir über den Leib die Lenden herab, aus
Dem Gefieder der Brüste, zart, von den Gelenken
Des Bauches hinab. Der Wind geht über den See und
Kräuselt die Wellen, wie deine Stirn, wenn
Dir der Hauch unsrer verfahrnen Wochen aufgeht.
Wir sind Rosenkäfer im Wind der Verdammnis,
Aber du hörst mir nicht zu, derweil du mich küßt;
–
Und ich bin verloren an dich, dein sächsisches
Schweigen, deine Scheu, deine Blicke, dein Leib.
Der Wind geht, die Brombeeren beobachten
Uns, das Werk gegenüber stellt nichts her als Dampf:
Das ist unsere Liebe, sag ich, und will es nicht
Glauben; und du schweigst, küßt mich und siehst
Mich nicht an, weil du den Abschied schon
Nimmst, von dem du nichts weißt, und der mir
Das Künftige bricht: der Schlaf und die Liebe, die
Träume nichts wert ... derweil ich dich küsse
Und das Werk gegenüber nichts herstellt als Dampf:
Wir sind Rosenkäfer im Wind der Verdammnis.
Pressestimmen
Schinkel findet einen ganz
eigenen, unverwechselbaren Ton, kraftvoll metapherngesättigt
oder schwebend zart, von einem machtvollen Wortstrom getragen
oder ganz der Ruhe hingegeben, im Zwiegespräch mit der
Natur und mit sich selbst. (...)
Parlando, das ist einmal die in Rhythmus und Vers festgehaltene
Doppeltheit, in der sich das Wissen um die „Verlorenheit
einer Liebe und das Beharren auf ihr“ spiegelt.
Parlando ist in einem weiteren Sinne das Orpheische in André
Schinkels Texten, der Gesang der Worte. Jeder seiner Texte
beginnt mit einem unverwechselbaren Ton, einer eigenen Tonart,
die im Gedicht, im Prosatext und im Essay entfaltet und bis
zum Ende des Textes konsequent beibehalten wird.
Parlando, das ist zugleich die Komposition der Texte aus zwanzig
Jahren zu einem erdenschweren Gesang, leise beginnend, sich
steigernd, aufgipfelnd und von Neuem beginnend, bis mit „L'AUTRE
MONDE“ das große Finale erklingt. Der Schlussakkord
bleibt mit „OBSERVATION“ (entstanden 1997) einem
streng geformten Gedicht im Moll-Ton vorbehalten.
Der Band „PARLANDO“ gewinnt an Schönheit
und Intensität durch vier Graphiken von Karl Georg Hirsch.
Vorangestellt ist dem gesamten Band eine Graphik zum Gedicht
„SCHONZEIT“, die in ihrer Ausdrucksstärke
und Dynamik der poetischen Welt André Schinkels auf'
das Engste verwandt ist. Zu den Gedichten „Im PUB“,
„VERSTECKTE TIERE“ und „MONDARTENLIED“
sind drei großartige Graphiken entstanden. Die Gedichte
finden sich auf der linken Seite, die gedruckten Graphiken
auf der gegenüberliegenden. Gedicht und Graphik halten
Zwiesprache und laden den Leser als Dritten im Bunde zum Dialog.
André Schinkels „PARLANDO“ ist ein feiner,
schmaler, typographisch excellent gestalteter Band, den in
der Hand zu halten und zu betrachten ein sinnliches und den
zu lesen ein geistiges Vergnügen bereitet.
Dietmar Ebert, 19.03. 2012, www.poetenladen.de/dietmar-ebert-andre-schinkel.htm
Schinkel ist in den wirklichen Landschaften
ebenso zu Hause wie in den mythischen. Beide gehen bei ihm,
das verbindet ihn mit der Dichtung des verehrten Wolfgang
Hilbig, stufenlos ineinander über. Schinkels Minotauren
könnten auch im Weimarer Ilmpark weiden, seine Schmetterlinge
am Röthaer See flügelschlagend ein Chaos in China
auslösen. Der Blick des lyrischen Ichs löst Stücke
vom Rügener Kreidefelsen und sitzt im Einbaum der Poetik.
Schinkel kann in seinen Texten mal lakonisch und mal ausufernd
sein. Er ist ein Lyriker, der – ähnlich wie der
Freund, Kollege und Wahl-Hallenser Wilhelm Bartsch –
freirhythmische Verse schreibt, weil er auch die strengen
Metren und Reime beherrscht.
Die Illustrationen zu Parlando stammen von Karl-Georg Hirsch.
Es ist interessant zu sehen, welche Texte den Leipziger Künstler
zu seinen bis in die feinsten Nuancen ausgearbeiteten Traumbildern
inspiriert haben, die den Druckern des Buches alles abverlangt
haben. Es sind die herrlich frivolen Verse "Im Pub"
sowie "Versteckte Tiere", das nicht nur wegen seiner
witzigen Fauna in gereimten Zweizeilern vor allem ein Gedicht
für Kinder ist, und das "Mondgartenlied".
Kai Agthe, in: Palmbaum. Literarisches Journal aus
Thüringen, Heft 1/2012
Es sind kraftvolle Texte, die die ungeheure Spannweite "zwischen
dem Bleiben und dem sicheren Ende eine Zeitlang zu überbrücken"
versuchen. Schicht für Schicht durchstößt
der Archäologe die Seelenablagerungen seines lyrischen
Ichs und gelangt in die Gefilde, wo des Nachts die Ängste
und Beklemmungen ihr Eigenleben führen und bis in die
Tagträume hinein qualvoll walten. Seine Gedichte und
lyrischen Kurztexte zeugen von hoher Stilsicherheit und einer
Sensibilität für deren Rhythmus, dass man von einem
Romantiker sprechen möchte, der mit dem Blick der Moderne
die "Wüstungen" der inneren und äußeren
Wirklichkeit zur Sprache bringt.
Thüringische Landeszeitung (TLZ)
Was ist Schreiben anderes als
Brücken zu schlagen; von der bloßen Rede zum Gesang,
von der Benennung der Tatsachen zur Formulierung des Dennoch?
(...) Karl-Georg Hirsch hat den Band mit vier Graphiken mit
gestaltet. Der Brücke sozusagen ein Geländer verliehen,
am dem der Leser sich festhalten kann, um tiefer hinab oder
weiter hinaus zu schauen. Hirsch Stiche sind nicht einfach
nur Illustrationen, sondern erweitern die Texte, eröffnen
eine weitere Dimension.
(...) Parlando erzählt davon, dass Gedichte einen Austritt
aus der Welt bedeuten, ein Überschreiten der Vernunft
und somit eine Brücke schlagen zwischen Sehnsucht und
Verzweiflung. Kann sein, dass man von dieser Brücke aus,
die Stelle wiederfindet, an der diese „reparaturbedürftige
Welt“ unvergänglich schön ist.
Elke Enghelhardt, in: fixpoetry
Es gibt sie noch, in Inhalt und Form sehr gute
Bücher zum erschwinglichen Preis. Gewiss, man muss sie
suchen in den Buchhandlungen - auch weil ihr konstantes Format
und äußeres Erscheinungsbild kein "lautes"
ist, und ein Werbebudget für auffällige Präsentation
einen kleinen Verlag überfordern. Doch die Suche wird
belohnt. Einmal mehr beweist das die vom Jenaer Jens-Fietje
Dwars 2005 begründete Reihe "Edition Ornament".
(...) Andre Schinkel, der auch Stadtschreiber in Ranis gewesen
ist, haben es Weimar und dessen Umgebung offenbar besonders
angetan, wie in "Parlando" (Band 10) aufgenommene
Gedichte schon in ihren Titelzeilen kundtun: "Fürstengruft",
"Weimar im Mai", "Wielands Grab" und "Die
Ilsenhöhle" lesen wir da. Doch ebenso lesenswert
sind die ziselierten kurzen Prosastücke und Essays des
Schriftstellers, der vom Rinderstall in die Schreibstube wechselte,
mit seinen Büchern in 13 Sprachen übersetzt wurde,
doch hierzulande nur wenigen ein Begriff ist.
Heinz Stade, in: Thüringer Allgemeine (TA)
"Parlando" ist die Komposition von Texten aus zwanzig
Jahren, der Band umfasst Gedichte, lyrische Prosa und Essays.
Was bisweilen zum Kolonialwarenladen werden kann, findet in
"Parlando" zum stimmigen Gesamtgefüge; nicht
unwesentlich tragen die Holzstiche von Karl-Georg Hirsch und
das feine Layout hierzu bei. So ist es bereits ein sinnliches
Vergnügen, das Buch in die Hand zu nehmen. Für jeden
Leser, der bisher kein Buch von Schinkel gelesen hat ist Parlando
ein Glücksfall, der ideale Einstieg. (...)
Der besondere Reiz von André Schinkels Gedichten, der
lyrischen Prosa und Essays liegt im Charme der Umkehrung.
Ein poetisches und gedankliches Sprachspiel, bei dem der Autor
als Anwalt der sprachlosen Dinge den stummen Objekten eine
Stimme leiht. Dabei entstehen lakonische, sinnlich unmittelbar
ansprechende und zugleich philosophisch mehrdeutige Bilderrätsel
von stiller Ironie. Das Dionysische wird zu einem Hauptelement
dieser Dichtung.
In Schinkels Parlando kann man sich häuslich einrichten.
Es gibt Ecken, in denen man schlafen möchte, und Fenster,
die sich ins Weite öffnen. Stundenlang kann man bei einem
einzigen Text verweilen oder von Raum zu Raum schlendern,
wie in einem guten Museum. Und nach Wochen wird man noch etwas
Neues entdecken, ein durchdachtes Detail oder ein verstecktes
Zitat, obwohl auf den ersten Blick alles so schlicht und luftig
erscheint.
Matthias Hagedorn, in: Edition Das Labor
Etwas unbemerkt hat sich in den letzten Jahren in
Mitteldeutschland ein Verlagsnetz etabliert, dessen Verortung
nicht nur in den größeren Städten zu suchen
ist. (...) Einer dieser Verlage, der schon durch seine Buchgestaltung
eine größere Wahrnehmung verdient, ist der »quartus-Verlag«
des Buchkünstlers Jens-Fietje Dwars, der, angelehnt an
die Reihe »Der jüngste Tag« von Kurt Wolff,
die Edition Ornament entwickelt hat. (...)
Dass die Reihe nicht poetischen Gattungsbezeichnungen untergeordnet
wird, beweist Band 10, in dem sich Prosa, Gedichte und Essays
befinden. »Parlando«, so heißt das Buch
und bezeichnet auch in der Musik den Sprechgesang, rhythmisch
exakt mit leichter Tongebung. Und in diesem Sprechgesang des
Autors Andre Schinkel verdienen die Essays besondere Beachtung,
insbesondere wenn es um Kleist oder um Peter Bichsel geht.
Nun vermutet man, dass das Schreiben des Autors auf Grund
der Biografie von der wissenschaftlichen Seite her erfolgt
und auch die Archäologie die Texte durchdringt, allerdings
wird mit dein Gedicht »versteckte Tiere« diese
These widerlegt. Vielmehr zeigt es, warum Andre Schinkel den
Förderpreis der Ringelnatz-Stiftung erhielt. Den typographisch
schön gestalteten Seiten sind Graphiken des Künstlers
Karl-Georg Hirsch beigegeben, die auf die Texte Bezug nehmen
und doch andere Sichtweisen eröffnen.
Thomas Ernest, in: Ostragehege, 1/2013, Dresden
André Schinkel ist ein Lyriker, der den eher hohen
Ton pflegt. (...) Die dunkel glänzenden Prosagedichte
von "minotaurischen Weiden" und der "Mondinnenseite"
der Träume sind gegenwärtig fast einzigartig (Thomas
Böhme schreibt eine Kurzprosa von vergleichbarer Kohärenz).
Allein das grandiose Liebesgedicht "In der Dünenheide"
lohnte die Anschaffung.
Jürgen Engler, in: Marginalien. Zeitschrift für
Buchkunst und Bibliophilie, Heft 3/2013
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